
Der eine – Maxim Biller – ist von unerbittlicher Ehrlichkeit. Seine Hauptfiguren verstricken sich im Netz der Vergangenheit, Lebensziele scheitern an der Selbstgerechtigkeit der Partner und Freunde und sie begegnen altem und neuem deutschen Nazitum. Der andere – Dimitrij Kapitelman – bemüht sich um Verständnis und Vertrauen, wenn sein anderes Ich als „Demokratiedeutscher“ sogar die Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde wertschätzt und er anfängt, seine alten Eltern neu zu lieben.
Maxim Biller, Mama Odessa, Köln 2023
Am Anfang der Erzählung steht ein nichtabgeschickter Brief von Aljona Grinbaum an ihren Sohn Sascha von 1987. Er legt die Fäden aus, an denen sich das Geflecht der Erzählung verdichtet: Die Mutter hadert mit ihrem Versäumnis, dass sie ihren armenischen Vater bei der Ausreise nach Hamburg 1971 in Odessa zurückgelassen und ihn auch auf dem Sterbebett nicht begleitet hat. Jaakow Katschmorian war dem Massenmord der SS an den Juden, die sie 1941 auf dem Tolbuchinplatz von Odessa in Baracken eines Munitionslagers zusammentrieben und anzündeten, nur knapp entkommen; Fröhlichkeit und Melancholie begleiteten ihn sein Leben lang, eine Stimmung, die sich als „Katschmorian-Gefühl“ in der Familie fortsetzt. Aljona sehnt sich im Hamburger Alltag zurück nach Odessa. Sie wäre gerne eine erfolgreiche Autorin geworden und überträgt ihre Hoffnungen auf den Sohn.
Dimitrij Kapitelmann, Eine Formalie in Kiew, Berlin 2021
Eigentlich benötigt der Ich-Erzähler Dimitrij nur eine vor Ort in Kiew beglaubigte Kopie seiner Geburtsurkunde, eine so genannte Apostille, um seinen Antrag zum Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft zu komplettieren. Er reist in jene Stadt, die er als Achtjähriger 1994 mit seinen Eltern verlassen hat. Kiew erscheint ihm fremd und vertraut zugleich. Auf seinen Behördengängen rechnet er mit Korruption und Schlendrian, aber schnell ist alles bei hilfsbereiten Sachbearbeiterinnen auf den Weg gebracht. Doch dann kündigt der Vater an, er käme nach Kiew, um sich neue Zähne machen zu lassen und für einige medizinische Untersuchungen. Schon beim Abholen am Flughafen bemerkt der Sohn den desolaten Zustand: Der Vater ist nach einem Schlaganfall teilweise desorientiert und weil er in Deutschland nicht krankenversichert war, startet der Sohn mit ihm eine Odyssee durch das marode Kiewer Gesundheitssystem.
Hattenhorst und von Elsner thematisieren auch, wie kulturelle Traditionen gelebten Judentums mit heutigen Formen des Antisemitismus konfrontiert werden. Das Buch des britischen Autors David Baddiel, Juden zählen nicht, München 2021 zeigt am Beispiel des Vereinigten Königreichs, wie bei der Diskussion um die gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten „die Juden“ eher auf der Seite der Unterdrücker als auf der Seite der Ausgegrenzten gesehen werden.
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